Datum: Freitag 17.09.2021
Ort: Alte Feuerwache Köln
Block 2 - Session 7
Zeit: 19.30h - 21.00h
An einem Roundtable diskutieren aus der Bottom-up-Perspektive Musiker*innen, die in den letzten 40 Jahren im Herzen und als Impulsgeber angesehener transkultureller Ensembles stehen und standen.
Im Mittelpunkt steht ihre Situation und ihre Arbeiten und die Bezüge zur institutionalisierten Musikszene. Es werden Bildungswege und individuelle Strategien für den Zugang zur Musikszene und zu den Märkten der Musikwirtschaft in Deutschland und Europa angesprochen. Die sich daraus ergebenden Herausforderungen werden besprochen, um Impulse für notwenige Veränderungen der Kulturinstitutionen zu identifizieren - Strukturen, Repertoire, Besetzung, Produktion, Wissenschaft und Verbreitung ...
Die Protagonist*innen berichten über ihre persönlichen ästhetisch-politischen Entscheidungen, um Stigmatisierungen und Reduzierungen ihrer Kreativität zu entkommen. Es werden Fragen erörtet wie:
Welche Arbeitsweisen sind relevant? Sind existentielle und ästhetische Fragen relevant? Wie positionieren sich die Ensembles im Spannungsfeld zwischen Politik und Ästhetik? Welche Handlungsstrategien wenden sie an, um in der Gesellschaft sichtbar und hörbar zu werden? Wollen die Musiker*innen ihren politischen Zustand auf künstlerische, kompositorische Weise reflektieren? Welche Bedeutung hat in Heimatländern begonnene Arbeit für die Kontinuität der künstlerischen Arbeit und Karriere? Sind die transkulturellen Ensembles für ein größeres Publikum von Interesse? Benötigen ihre Arbeiten spezielle Übersetzungsformen? Welche Rolle spielt die Diaspora Community für die kulturelle Verortung und die Inspiration der Musiker?
Es wird über das Potential von Musik für Beheimatung, für Integration, für kulturelle Interaktion und für kulturelle Emanzipation in der experimentellen künstlerischen Praxis diskutiert.
Dissidenten ist die 1980 gegründete deutsche Weltmusik-/Indie-Rock-Band, die durch ihre Zusammenarbeit mit Künstlern aus dem Mittleren Osten, Nordafrika und Indien weltweit bekannt geworden ist. Das Rolling Stone Magazine bezeichnete sie als „Godfathers of World-Beat“, die New York Times als „…leading the global field of World Music”. Die beiden Gründungsmitglieder Uve Müllrich und Michael Wehmeyer (1981 durch Marlon Klein ersetzt) unternahmen bei der in den 1960er Jahren gegründeten Münchner Krautrock- und Weltmusikband Embryo Experimente zwischen Orient und Okzident. Gemeinsam mit Friedo Josch gründeten sie in Indien „Embryo’s Dissidenten“ und änderten ein Jahr später den Namen der Gruppe in „Dissidenten“.
Uve Müllrich
Den ersten (in Kleinauflage) eigenfinanzierten Singles folgte eine Tournee durch Asien bis Ende 1981. Inspiriert durch persönliche Reisen und die Erfahrungen mit der Band Embryo hat das Trio weltweite Erfolge und erhält große internationale Anerkennung. Die Konzerte sind meist ausverkauft und ihre Singles werden zu Dance-Hits in den Diskotheken. 2012 erhalten sie den Praetorius Musikpreis in der Kategorie Internationaler Friedensmusikpreis und 2015 erhält die Band für ihr Lebenswerk der Völkerverständigung aus der Hand des marokkanischen Kulturministers den „Visa for Music Award“.
Uve Müllrich ist Komponist, Musiker, Medienkünstler und Gründer der Gruppe Dissidenten, deren Name sich weltweit mit dem Begriff Worldmusic verbindet. Mit den Dissidenten und als Solomusiker hat er u. a. mit Charlie Mariano, Mal Waldron, Mohamed Mounir, Ravi Shankar, Sun Ra, Mohamed Mounir zusammengearbeitet. Als Komponist hat er Auftragsarbeiten für die National Dance Company Zimbabwe, die Bielefelder Symphoniker unter Günther Schmehlich, das National Radio Orchestra in Kabul, das Bombay String Orchestra, das Karnataka College of Percussion in Bangalore, das Orchestre du Royaume Maroc in Rabat, das Slowakische Sinfonieorchester und -Chores kreiiert und durchgeführt. Er hat für den Deutschen Pavillion der EXPO 2000 in Hannover die Klangskulpturen 'Hut' und 'Glocke' kreiert und die Klanginstallation „Gedächtnis des Wassers“ für die Bundesgartenschau Baden-Württemberg und sowie die Komposition 'Cyberstar“ für die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung des Fraunhofer Instituts in Bonn. Zusammen mit Prof. Petr Vrana hat er als Dozent im Fachbereich Audiovisuelle Kommunikation/ Filmmusik an der Kunsthochschule Kassel gelehrt und an der FH Augsburg als Junior Professor für interkulturelles Sound Design. Er war als Dozent bei Jeunesse Musical tätig und hat für das Goethe Institut International Konzerte gegeben und als Dozent gearbeitet. Er hat Filmmusiken für Bollywood/Hollywood Produktionen geschrieben und insgesamt ca. 40 Alben weltweit veröffentlicht.
Die Schäl Sick Brass Band war eine der Weltmusik verpflichtete Band aus Köln, die 1995 von Raimund Kroboth zusammen mit anderen Jazzmusikern der Kölner Szene gegründet wurde. Der Name leitet sich von der Schäl Sick ab, den rechtsrheinischen Vierteln der Stadt. Klänge aus dem Iran, der Türkei, Bulgarien, Griechenland oder Nordafrika flossen zusammen, wurden neu arrangiert und umgedeutet. Beispielsweise wurde das in der islamischen Welt bekannte ägyptische Lied „Mustapha“ auf Kölsch gesungen. Ebenso wurde bayrische Blasmusik mit persischen Texten versehen. Während der Sound der Band bis 1999 vor allem von der iranischen Sängerin Maryam Akhondy geprägt wurde, war es danach für mehrere Jahre Ivanka Ivanova aus Bulgarien, die die stimmlichen Hauptakzente setzte. Gespielt wurden auch Stücke, die einer imaginären Folklore verpflichtet sind und weniger mit den Mitteln des Jazz, sondern vielmehr mit denen eines Folkpunk interpretiert wurden. Die Band trat nicht nur in Europa auf, sondern tourte auch durch außereuropäische Länder. Von den fünf veröffentlichten CDs wurden die beiden ersten „Majnoun“ und „Tschupun“ mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik bedacht.
Raimund Kroboth
Der Musiker und Exilbayer aus Landshut kam ursprünglich nach Köln um Gitarre zu studieren. Mit 14 hatte er beim Bravo-Preisausschreiben seine 1.Gitarre gewonnen!
Seine Vorliebe für Weltmusik entdeckt der Komponist und Arrangeur schon Anfang der 1990er Jahre. Er war Mitbegründer und Leiter der „Schäl Sick Brass Band“ (1995-2013) und formierte weitere Weltmusik Ensemble wie das Tabadoul Orchestra und Die Tsaziken. Rainer Kroboth spielt Waldzither, Mandola und Gitarre und ist als Komponist und Autor bei zahlreichen CD-, Theater- & Hörspielproduktionen verantwortlich. An der Offenen Jazzhaus Schule in Köln gibt er Unterricht im Bereich Weltmusik mit den Schwerpunkten Bandcoaching, ErwachsenenBand und Workshops.
Die 2001 als Banda Comunale von zunächst elf Dresdner Musikern als Reaktion auf die immer größer werdenden Neonaziaufmärsche in der Landeshauptstadt gegründete Global Pop Blechbläser Band aus Dresden, deren musikalische Stil von Anfang an durch starke internationale Einflüsse (Balkan/Osteuropa, Nordafrika, Lateinamerika) geprägt war, ist inzwischen zur Banda Internationale geworden. Denn zwei Themen haben Dresden und damit auch die Banda in den letzten Jahren besonders bewegt: Die fremdenfeindlichen PEGIDA-Spaziergänge und das Schicksal der vielen geflüchteten Menschen, die auch in Dresden Schutz suchen. So hat die Band ab 2015 gezielt unter den in der Region Dresden ankommenden Flüchtlingen nach Musikern gesucht und sich so mit Bandmitgliedern u. a. aus Syrien, Iran, Irak, Palästina und Burkina Faso verstärkt. Das mittlerweile 20-köpfige Kollektiv hat seitdem zahlreiche Preise gewonnen und mehr als 400 Konzerte in Dresden, in Sachsen und Deutschland gespielt. Großes, gemeinsames Ziel ist es, Heimatmusik neu zu interpretieren, Herzen zu öffnen, Vorurteile und Ressentiments abzubauen und zur Verständigung zwischen neuen und alteingesessenen Sachsen, Deutschen, Europäern beizutragen.
Die Initiative “Bridges - Musik verbindet” bringt seit 2016 professionelle Musiker*innen mit und ohne Migrations- und Fluchtgeschichte zusammen und fördert damit den transkulturellen Dialog. Ein jährliches Orchesterkonzert, Musikaufführungen der zahlreichen Ensembles, Instrumental- und Chorproben sowie Musik-Sessions und interkulturelle Musikpädagogik sind Teil der vielfältigen Aktivitäten der Initiative, die seit ihrem Bestehen über mehr als 150 Musiker*innen und Sänger*innen zusammen und auf die Bühne gebracht hat. Auf ihren Instrumenten aus Orient, Okzident, Lateinamerika und Asien und durch ihre Ausbildung in unterschiedlichen Musiksparten sind die Musiker*innen von Bridges Expert*innen europäischer, arabischer und persischer Klassik genauso wie Jazz, Folklore und zeitgenössischer Musik. Darüber hinaus unterstützt Bridges die Musiker*innen bei Fragen und Problemen des Alltagslebens, im Asylverfahren und vor allem bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Durch die Vermittlung von Konzerten und Mitarbeit in musikpädagogischen Formaten schafft Bridges Beschäftigungsmöglichkeiten und tritt für eine faire Bezahlung von Profimusiker*innen ein.
Johanna-Leonore Dahlhoff
Die Künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin von „Bridges - Musik verbindet“ studierte Flöte und Musiktherapie in Hamburg, Hannover und Berlin und gastiert weltweit als Solistin und Kammermusikerin. Nach Stationen in Ecuador, den USA, Japan und dem Schwabenland lebt sie seit 2010 als freischaffende Flötistin in Frankfurt. Sie ist als Flötistin und Organisatorin seit der Gründung der Initiative im Herbst 2015 dort aktiv. Im März 2016 hat sie von den damaligen Initiatorinnen die Leitung übernommen.
Salim Salari
Er lernte seit seinem dreizehntem Lebensjahr die aserbaidschanische Langhalslaute Tar, die sich aus der iranischen Tar ab den 1870er Jahren weiterentwickelt hat. Er spielte in verschiedenen Ensembles und Orchestern in Tabriz (Hauptstadt von Ost-Aserbaidschan im Iran), u.a. im Kammerorchester des Rundfunks von Tabriz. Im Jahr 2016 mirgierte er zum Absolvieren seines Masterstudiums im Bauingenieurwesen nach Deutschland. Er ist seit Herbst 2017 Mitglied bei Bridges – Musik verbindet und spielt in den Bridges-Ensembles Quintett Turnalar und Kardamom. Seit Juni 2020 ist er auch Mitglied im Bridges-Kammerorchester.
Heimat in the Showcase ist ein Klanglaboratorium, das im Rahmen des Migrants Music Manifesto Unter der Leitung von Prof. Dr. Barbara Welzel (Technischen Universität Dortmund) und Prof. Dr. Eckehard Pistrick (Universität zu Köln) durchgeführt wurde. Studierende des Fachbereichs Kunstgeschichte (Dortmund) und des Instituts für Europäische Musikethnologie (Köln) gemeinsam mit fünf herausragenden Musiker*innen der Weltmusik an einem besonderen Ort, der Stadtkirche St. Petri in Dortmund, auf eine musikalische und klangliche Expedition gemacht. Die eingeladenen Musiker*innen, die aus verschiedenen Kulturkreisen stammen, haben sich mit ihren Instrumenten in einen Dialog mit diesem Ort begeben. Im Rahmen des Roundtable Gespräches werden die Ergebnisse der Expedition vorgestellt und kommentiert.
Prof. Dr. Eckehard Pistrick
vertritt seit 2017 die Juniorprofessur am Institut für Europäische Musikethnologie der Universität zu Köln und arbeitet als assoziiertes Mitglied am Centre de Recherche en Ethnomusicologie, Paris.
Von 2009 - 2017 war er Dozent für Musikethnologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, an der er auch promoviert hat. Seine Forschungen konzentrieren sich auf die Themenfelder Musik und Migration und die Musik Südosteuropas. Seit 2018 koordiniert er das interkulturelle Musikprojekt Orpheus XXI von Jordi Savall in Deutschland. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit ist er auch musikjournalistisch, als Hörfunkautor für BR Klassik und als Kurator tätig.
Er ist Projektleiter des Klang-Laboratorium 'Heimat In The Showcase' im MMM WorkshopLab.
Dr. Carolin Müller ist promovierte Kulturwissenschaftlerin (Ph.D.) und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Koordinatorin für wissenschaftlichen Nachwuchs am Medienzentrum der Technischen Universität Dresden. In dieser Funktion gestaltet und moderiert sie hybride Konferenzformate zu den Themen Data Science & Social Sciences sowie Bildungstechnologie.
Ihre Forschungen liegen an der Schnittstelle von Migrationswissenschaft, Performance Studies und Aktivismusstudien. Dabei beschäftigt sie sich konkret mit künstlerischen und musikalischen Strategien, die in politisch umkämpften Räumen zum Einsatz kommen. Ein besonderer Fokus fällt in diesem Zusammenhang auf die Rolle von Kunst und Musik in aktivistischen Netzwerken und Debatten um Partizipation, Teilhabe und Zugehörigkeit. Ihre Doktorarbeit schrieb sie über das Dresdner Brassensemble Banda Comunale/Internationale, deren Beteiligung an Diskursen gegen Rechts und ihren Einsatz für die Rechte von Mitbürger*innen mit Fluchterfahrung. Diese ethnografische Arbeit mündete in Feldforschungen in Deutschland, Italien, Burkina Faso und der Türkei. Die Ergebnisse ihrer Forschungen präsentiert sie auf wissenschaftlichen Fachtagungen und in einschlägigen Fachzeitschriften.
Als ausgebildete Kunstpädagogin (M.Ed.) konzipiert sie partizipatorische Workshopkonzepte für Vereine rund um die Themen künstlerische Nachhaltigkeit, Migration und Performance. Während ihrer Promotion gründete sie u.a. an der Ohio State University die Migration Studies Working Group, deren Netzwerkstruktur sie als Präsidentin maßgeblich aufbaute und in deren Rahmen sie Konferenzen und Treffen zum Austausch zwischen Wissenschaftler*innen und NGOs umsetzte. Zudem organisierte und leitete sie als Kuratorin 2015, 2016, 2018 und 2019 transatlantische künstlerische Austauschprojekte mit Künstlern aus Deutschland, den USA und Burkina Faso.
Wir bedanken uns für die Übernahme der Reisekosten für Dr. Carolin Müller
Institut francais Köln www.institutfrancais.de |
Thalys www.thalys.com |